Kapitel 1 - Zwischen Staub und Schatten

Veröffentlicht am 24. November 2025 um 16:48

Aus den Aufzeichnungen von Khepri Khairy - 22. August 1992
Ich habe heute etwas entdeckt, das nicht entdeckt werden sollte.
Oder vielleicht hat es mich auch gefunden. Ich war in der Bibliothek, hinten im alten Archivraum. Dort, wo der Staub dicker ist als die Luft und die Regale sich biegen, als wollten sie endlich loslassen, was sie halten.
Ich suchte eigentlich nach einer einer Aufzeichnung über Gringotts, um die mich meine Mutter gebeten hatte, aber die Schublade, in der sie liegen sollte, war leer.
Nur Spuren. Staub, ein Hauch von Metall. Ich hätte gehen sollen.
Doch es war, als würde mich etwas rufen.
Nicht laut, nicht einmal wirklich hörbar – eher wie ein Gedanke, der nicht von mir kam.
Ein Flüstern, das irgendwo zwischen meinem Herzen und dem Atem lag. Ich bin dem Gefühl gefolgt, ganz nach hinten, dorthin, wo die Steinwand nicht glatt ist.
Da war ein Riss, kaum sichtbar, und als ich mit den Fingern darüberstrich vibrierte der Boden. Nur leicht, wie ein Atemzug unter der Erde.
Der Stein löste sich, als hätte er darauf gewartet, und dahinter lag ein Glimmen. Nicht hell, nicht grell – aber alt. Ein Licht, das nicht leuchtete, sondern erinnerte. Ich weiß nicht, warum ich es angefasst habe. Ich weiß nur, dass ich es musste.
Als meine Finger das Metall berührten, fühlte ich eine Hitze, aber keine, die schmerzt. Es war die Art von Wärme, die sagt: „Ich kenne dich.“ Das Amulett ist aus Messing, mit einem Stein aus grünlich-schwarzem Glas - Obsidian, glaube ich.
Die Gravuren sind unvollständig, als hätte jemand sie unterbrochen. Und doch… es atmet.
Nicht wörtlich, natürlich. Aber manchmal, wenn ich es halte, scheint es zu wissen, dass ich es sehe. Ich habe es in ein Tuch gewickelt und in mein Zimmer gebracht. Seitdem ist es still.
Aber die Luft in diesem Zimmer ist schwerer, dichter, wie kurz vor einem Gewitter. Vielleicht bilde ich es mir ein. Vielleicht ist es nur ein Erbstück, ein vergessener Rest aus vergangenen Zeiten. Aber in dem Moment, als ich den Stein berührte, hatte ich das Gefühl, als würde etwas in mir antworten, das lange geschwiegen hat.
Ich sollte aufhören, das zu romantisieren. Aber ich kann nicht aufhören, daran zu denken, dass manche Dinge nicht gefunden werden, sondern warten, bis man endlich zurückkehrt.



Mit einem leisen Schnarchen wachte Khepri auf und blinzelte gegen das künstliche warme Licht im Zugabteil an. Instinktiv suchte ihr Blick nach dem vertrauten Gesicht ihres Bruders; aber er war natürlich nicht da. Shukran saß, wie ihr in diesem Moment wieder einfiel, mit den anderen Vertrauensschülern zusammen in einem der designierten Abteile ganz vorn.
Khepri gegenüber saß Liliana Bletchley, ihre beste Freundin, die aussah, als würde sie ihrem Bruder Miles, der sich neben ihr den Mund fusselig schwafelte, nur mit halbem Ohr zuhören. Sie zerpflückte in diesem Moment irgendein Klatschblatt, das sie sich für die Fahrt zum Lesen eingepackt hatte, in hunderte kleine Papierfetzen. Marcus Flint und Adrian Pucey vervollständigten das Quintett in diesem Abteil. Marcus starrte an Khepri vorbei aus dem Fenster und beobachtete, wie der Himmel sich draußen immer dunkler färbte. Auch er schien Miles nicht viel von seiner Aufmerksamkeit zu schenken. Ausnahmsweise sah er tatsächlich mal aus, als sei er tief in Gedanken.
Seinen einzigen Diskussionspartner fand Miles also in Adrian, der sich offenbar sehr für Miles' Meinung zu interessieren schien. Khepri fing in ihrem noch deliriumartigen halb-wach-Zustand ein paar Wortfetzen auf. Quidditch, natürlich. Was hatte sie auch anderes erwartet?
Es wäre gelogen, wenn Khepri behaupten würde, sie interessiere sich nicht für Quidditch. Tatsächlich war sie sogar eine ziemlich gute Spielerin, aber die eisernen Regeln und Traditionen der Slytherins verboten es, Mädchen in die Hausmannschaft aufzunehmen. Dieser Umstand und dass sie, immer wenn sie sich dafür einsetzte, doch endlich mal etwas zu ändern, nur auf taube Ohren stieß, dämpften ihren Enthusiasmus erheblich.
Sie beschloss, gar nicht erst richtig zuzuhören, und schüttelte sich stattdessen einmal, um ordentlich wach zu werden.
Auch Khepri wagte den Blick aus dem Fenster. Nach ihrer Schätzung, und sie machte diese Fahrt nun immerhin schon zum sechsten Mal, würden sie in ungefähr zwei Stunden ankommen. Was nur tun bis dahin?
Khepri stupste mit der Fußspitze Lilianas Knöchel an. Als Liliana aufsah nickte Khepri einmal kurz in Richtung Abteiltür. Beide standen auf.
Draußen auf dem Flur zog Khepri hinter sich die Tür zu und schüttelte ihre Beine aus. “Bei Merlins Bart, ich spüre meine Beine kaum noch. Wie lange habe ich bloß geschlafen?”, fragte sie mit einem leisen Zischen, als beim nächsten Schritt ihr rechtes Knie unter ihr wegzuknicken drohte. Liliana kicherte nur leise. Sie selbst war mehr als erleichtert, dass Khepri endlich aufgewacht war. Die Jungs hatten sie mit den Quidditchfachsimpeleien tiefer und tiefer in die Langeweile getrieben, sodass sie schon kurz davor stand, es Khepri gleichzutun und einfach einzuschlafen. Doch das war gar nicht so einfach gewesen bei dem Geschnatter um sie herum - und Khepris leises, gleichmäßiges Schnarchen hatte auch nicht geholfen. “Lass uns einfach ein bisschen auf und ab gehen. Ich hab auch lange genug gesessen.”, sagte sie also einfach und schon Khepri an drei weiteren Abteilen vorbei, bevor der Gang breit genug wurde, dass ihre Freundin sich bei ihr einhaken konnte.
So gingen sie ein bisschen umher, erzählten sich gegenseitig von ihren Ferien, was sie nicht sowieso zusammen erlebt oder bereits in Briefen erwähnt hatten, bevor sie schließlich zurück in ihr Abteil gingen. Dort war die Quidditch-Diskussion offenbar immer noch in vollem Gange.
„Also, was hast du dieses Jahr vor, Khairy?“ Marcus’ Stimme riss sie aus den Gedanken. Er grinste breit. „Wieder versuchen, ins Quidditch-Team zu kommen?“
Khepri schnaubte. „Wieder versuchen? Ich würde schon längst spielen, wenn du endlich begreifen würdest, dass Mädchen besser fliegen als du.“
Adrian lachte, Liliana verschluckte sich beinahe an dem Schokofrosch, den sie vorher ihrem Bruder weggenommen hatte und Marcus’ Grinsen wurde nur breiter.
„Regeln sind Regeln“, sagte er und lehnte sich zurück. „Slytherin braucht keine Ablenkung auf dem Spielfeld.“
Khepri warf ihm einen Blick zu, der Eisbäder zum Kochen bringen konnte. Liliana beugte sich zu ihr.„Wenn du ihn so anfunkelst, könnte man fast meinen, du magst ihn ein bisschen.“
„Ich mag höchstens, wenn er aufhört zu reden“, zischte Khepri, und Liliana lachte wieder – dieses helle, sorglose Lachen, das alles leichter machte.
Die letzte Zeit verging ohne weiteren Streit, sodass sie schließlich kurz vor der Ankunft in Hogsmeade standen. Sie zogen ihre Umhänge an, schnappten sich ihr Handgepäck und Khepris Katze, und reihten sich im Gang ein, um auszusteigen.
Der dunkle Himmel über Hogsmeade war so klar, dass der Rauch aus der Lokomotive fast silbern wirkte, als der Hogwarts-Express pfeifend zum Stillstand kam. Auf dem Bahnsteig drängten sich Schüler, Eulen, Katzen, Koffer – alles wirkte vertraut und trotzdem ein wenig anders, als hätte sich in den Sommerferien etwas in der Luft verändert.
Khepri hielt Ausschau nach den Freunden und Familienmitgliedern, die die Fahrt im Vertrauensschülerabteil verbracht hatten. Sie erspähte zuerst ihren Cousin und ihre Cousine, die jeweils mit ihren eigenen Freunden redend den Zug verließen. Sie sah Aaron und Maralen, ihre jüngeren Geschwister, bei Fred, George und Lee und auch ihren Zwillingsbruder Shukran, der bedröppelt ausstieg, aber den, den sie wirklich unbedingt sehen wollte, ihren besten Freund, den entdeckte sie nirgends. Dann musste sie wohl warten, vielleicht würde sie ihn ja bei den Kutschen treffen. Es war immerhin sehr gut möglich, dass er längst ausgestiegen war. Ja, überall immer der Erste, so kannte sie ihn doch.
Also hakte sie sich erneut bei Liliana ein und zog sie mit durch die schnatternde Schülermenge.

Das Festessen ging vorbei, ohne dass Khepri auch nur einen einzigen Blick auf ihn erhascht hatte. Sie hatte den Gryffindor-Tisch mehrfach hoch und runter gescannt, aber bei so vielen Rotschöpfen auf einem Haufen war es schwer, ihn auszumachen. War er das, dort neben Harry Potter? Nein, vermutlich Ron, dachte Khepri, das machte viel mehr Sinn.
Sie saß jetzt auf ihrem Bett in dem Schlafsaal, den sie sich mit Liliana und drei weiteren Mädchen teilte. Nachdenklich schaute sie immer wieder zu ihrer Nachttischschublade hin. Oh, sie hatte Percy so dringend davon erzählen wollen.
Jetzt musste das doch tatsächlich bis morgen warten, dabei war Khepri doch so aufgeregt.
“Hey”, sagte Liliana, die sich neben sie aufs Bett plumpsen ließ. Ihre langen roten Locken wippten bei dieser Bewegung auffällig auf und ab. Liliana war immer ein bezaubernder Anblick, egal ob gelangweilt im Zug, in ihren Hogwarts-Roben am Tisch oder auch in ihrem luftigen grünen Nachthemd. Beide ließen sich rückwärts aufs Bett fallen und sahen sich an.
“Willst du denn dieses Jahr wieder versuchen, es in die Mannschaft zu schaffen?”, fragte Liliana, stützte ihren Kopf auf die Hand und schielte zu Khepri rüber. Die seufzte. “Ich kann da ja doch nichts bewirken. Marcus lässt sich nie und nimmer klein kriegen. Ich müsste wahrscheinlich warten, bis er seinen Abschluss gemacht hat, um es dann mit einem neuen Kapitän nochmal zu versuchen. Aber dann bin ich ja selbst schon nicht mehr da.” Sie strampelte frustriert mit den Beinen. “Dabei weiß eh keiner mehr, wann das durchgesetzt wurde und warum! Du kennst doch die Tafel mit den Namensauflistungen der vergangenen Quidditchkapitäne, die oben in der Eingangshalle hängt? Da stehen auch Mädchen drauf. Mädchen als Kapitäne!” Liliana unterbrach sie, bevor sie sich noch weiter in ihre Rede hineinsteigern konnte. Es war bei weitem nicht das erste Mal, dass die beiden diese Unterhaltung führten, und Liliana hatte aktuell keine Lust, sie sich anzuhören.
“Du solltest trotzdem nicht aufgeben. Irgendwann muss er anerkennen, wie gut du bist. Ich wette mit dir, dass er niemand besseren finden kann. Und es wird Zeit, dass er Montague ersetzt. Der war doch letztes Jahr wirklich eine Vollkatastrophe.” Wenn man ganz ehrlich war, war das letzte Jahr fürs ganze Team eine Vollkatastrophe gewesen.
“Aber eigentlich wollte ich heute Abend gar nicht darüber reden. Hast du gehört, was man sich schon wieder über Harry Potter erzählt? Manche sagen, er sei gar nicht mit dem Zug, sondern in einem fliegenden Auto gekommen - und mitten in die peitschende Weide gekracht. Deshalb war er gar nicht beim Festmahl. Und einer seiner Freunde soll auch dabei gewesen sein. Ron Weasley, glaube ich. Percys Bruder.”
Was? Dabei hätte Khepri hoch und heilig geschworen, sie alle beide beim Essen gesehen zu haben, als sie nach Percy Ausschau gehalten hatte. Vielleicht war der rothaarige Junge, den sie für Ron gehalten hatte, nun doch Percy gewesen. Und nur zufällig ein schwarzhaariger Junge neben ihm?
“Glaub doch nicht alles, was du vom Flurtratsch hörst, Liliana.”, meinte Khepri, die sich nicht vorstellen konnte, Percy mit seinem vier Jahre jüngeren Bruder verwechselt haben zu sollen. “Wahrscheinlich ist die ganze Geschichte viel harmloser, als du denkst.” Liliana zuckte mit den Schultern. “Wie du meinst. Ich werde jetzt mal meinen Schönheitsschlaf halten gehen. Gute Nacht.” Sie drückte Khepri ein Küsschen auf die Wange und stieg in ihr eigenes Himmelbett direkt neben dem von Khepri.
Khepri setzte sich wieder auf, warf erneut einen Blick rüber zu ihrem Nachttisch und versuchte, dem Drang zu widerstehen, sie zu öffnen. Das musste warten.
Stattdessen dachte sie über das Gerücht um Harry Potter nach. Schon wieder in Schwierigkeiten - er schien Probleme regelrecht anzuziehen.
Egal, dachte Khepri, das ist bestimmt sowieso Humbug.

Kein Humbug, musste Khepri am nächsten Tag feststellen, als sie nach dem Mittagessen noch einen Spaziergang machte und an der eindeutig verletzten peitschenden Weide vorbeikam. Es war nicht so, dass sie die Weide unbedingt besonders mochte, aber ein bisschen Mitleid hatte sie schon. Mit einem kurzen Blick auf die schmale goldene Armbanduhr an ihrem Handgelenk verschnellerte sie ihren Schritt, denn Zaubertränke war kurz davor, zu beginnen.
Ah, ja, Zaubertränke. Khepri war eine gute Schülerin, das war sie wirklich, aber Zaubertränke schaffte es regelmäßig, sie in die Knie zu zwingen. Ihre ZAG hatte sie nur mit Ach und Krach und wochenlanger Nachhilfe von Liliana bestanden. Nun quälte sie sich auch im sechsten Jahr noch durch Professor Snapes Unterricht - wieso eigentlich? Sie hatte noch nicht wirklich einen Plan, was sie nach Hogwarts für eine berufliche Richtung einschlagen wollte, aber dass ihre Karriere irgendwas mit Zaubertränken zu tun haben sollte, das konnte sie sich nicht vorstellen. Trotzdem hatte sie es nicht übers Herz gebracht, Zaubertränke abzuwählen, als sie im letzten Jahr die Möglichkeit dazu hatte. Irgendwie hatte sie Spaß an Snapes Unterricht, und sie hatten es mit den anderen Häusern zusammen, also sah sie auch Percy.
Der Geruch von Schwefeldampf hing schwer in der Luft, als Professor Snape mit verschränkten Armen durch die Reihen glitt.
Khepris Kessel zischte gefährlich, und weder Percy noch Shukran – die am Nebentisch saßen – wagten einzugreifen.
„Miss Khairy“, kam Snapes seidige Stimme, „es ist bemerkenswert, wie Sie es schaffen, selbst einfachste Anweisungen… kreativ zu interpretieren.“ Ein leises Kichern ging durch den Raum.
Khepri biss sich auf die Lippe. „Ja, Professor.“
„Nicht ‘ja, Professor’. Besser.“ Sie nickte, spürte die Hitze in ihren Wangen – und Percy warf ihr einen mitfühlenden Blick zu, den Snape natürlich bemerkte.
„Fünf Punkte Abzug für Slytherin. Vielleicht lehrt Sie das, in Ihrem eigenen Haus Verantwortung zu übernehmen.“ So ein Mist! Fünf Punkte Abzug direkt am ersten Tag. Mit den fünf Punkten, die sie am Vormittag in Arithmantik gewonnen hatte, war sie jetzt wieder bei null. Sie kratze seufzend ihren Kessel aus und verabredete sich noch mit Percy in der Bibliothek, bevor die Stunde endgültig beendet wurde. Doch Percy müsste noch ein bisschen auf sie warten, dachte Khepri, als sie auf dem Flur Shukran ins Gesicht sah und die Melancholie entdeckte, die normalerweise erst nach Wochen in Hogwarts Einzug in sein Wesen hielt. Zuhause war Shukran aufgeschlossen, immer freundlich mit einem leisen Lächeln auf den Lippen. Sicher, er war schon immer der ruhigere von ihnen beiden gewesen, der introvertierte, aber wenn er hier in Hogwarts war, verschwand seine Persönlichkeit völlig. Er lernte und lebte vor sich hin, nur mit freudiger Aussicht auf die nächsten Ferien, wenn er endlich wieder nach Hause durfte. So war er jetzt schon das dritte Jahr in Folge. Shukran hatte Heimweh - nicht nach Zuhause, nein, nach seiner Freundin, Maya, einem Muggelmädchen. Seit die beiden in den Sommerferien nach ihrem dritten Schuljahr zusammengekommen waren, wandelte Shukran durch Hogwarts, als ob er seine Seele bei ihr in England gelassen hatte. Khepri zerriss es das Herz, wann immer sie ihn sah.
“Shukran”, sagte sie leise und legte ihm eine Hand auf den Arm. “Hey, ich habe mir überlegt, vielleicht würde es dir ja besser gehen, wenn du mit ihr reden könntest? Eventuell kann ich da was machen. Falls es funktioniert.” Sie erzählte ihm, dass sie sich überlegt hatte, Kommunikation durch Spiegel möglich zu machen. Sie sagte ihm auch ganz klar, dass sie sich dazu erst noch genauer informieren und ein bisschen forschen müsste, aber die Aussicht darauf, dass sie eine Idee hatte, die eventuell sogar funktionieren könnte, hellte Shukrans Gesicht merklich auf. Er gab seiner Schwester einen Kuss auf die Wange, bedankte sich tausendmal und verzog sich anschließen, schon etwas besser gelaunt und mit mehr Leben im Gesicht, in Richtung große Halle.

Percy wartete bereits in der Bibliothek, als Khepri nach einem weiteren Abstecher in ihrem Schlafsaal endlich dazukam. Er hatte bereits angefangen, seine erste Hausaufgabe des jahres, nämlich eine Dissertation über die Einflüsse von Amortentia, zu schreiben, als Khepri ihre Tasche neben seinen Stuhl sinken ließ. “Mach mal kurz eine Pause”, flüsterte sie ihm zu, “denn ich habe dir einiges zu erzählen.”
Percy schob mit hochgezogener Augenbraue sein Pergament von sich und Khepri legte etwas auf den Tisch zwischen ihnen, das noch vollständig in ein schwarzes Tuch eingebunden war, das er als Khepris Lieblingsschal erkannte. “Ich habe es zuhause versteckt in der Wand im Artefaktraum hinter der Bibliothek gefunden. Da war ein Stein locker, und- Naja, ist ja auch egal, wo genau ich es gefunden habe.”, meinte Khepri, als sie den Schal auffaltete und ein altes Messingamulett zu Tage förderte. Das Amulett war in etwa so groß wie eine Galeone, rauh und offenbar lange in dieser Wand versteckt. Der Stein, der in seiner Mitte prangte, war ein Obsidian, der grün schimmerte, wenn Khepri das Amulett im Licht bewegte. Aber der Stein war in der Mitte gebrochen. Es war ein ganz sauberer Bruch, offensichtlich von magischer Hand herbeigeführt. Kein Fall, Splitter oder Wurf hätte eine so glatte Bruchstelle hinterlassen.
“Okay, nett.”, sagte Percy, der mit dem Amulett bisher noch gar nichts anfangen konnte. Er drehte es um und sah sich die Rückseite an. Dort entdeckte er, kreisrund, eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz biss. “Ein Ouroboros.”, erkläre Khepri leise, “Das einzige, was ich über dieses Amulett in der Bibliothek zuhause in Erfahrung bringen konnte. Der Ouroboros bedeutet Ewigkeit. Er ist ein ägyptisches Symbol, Percy. Das Amulett muss also von Oma sein. Sie ist die einzige in der ganzen Familie, die noch Bezug zu unseren ägyptischen Wurzeln hat. Die einzige, die sich damit wirklich auskennt!” Percy zuckte die Schultern. “Okay? Aber was macht das Amulett jetzt so interessant?” Khepri setzte sich und senkte ihre Stimme noch ein bisschen weiter. “Es hat mit mir gesprochen, Percy.”
Percy blinzelte, als hätte er sich verhört. „Entschuldige – was meinst du mit gesprochen?“ „Ich meine, ich habe seine Stimme gehört.“
Khepri sah ihn fest an, und das Zittern in ihrer Stimme war keine Unsicherheit, sondern Aufregung. „Nur einmal. Ganz kurz. Ich hab’s in der Hand gehalten, und plötzlich war da… etwas. Eine Art Flüstern. Wie ein Echo in meinem Kopf. Ich konnte die Worte nicht verstehen, aber sie waren da.“ Percy zog die Stirn kraus. „Und du bist sicher, dass es nicht einfach… ein Gedanke war? So wie manchmal, wenn man sich selbst-”  „Percy!“
Sie lehnte sich über den Tisch. „Ich bilde mir keine Stimmen ein. Ich weiß, wie sich Gedanken anfühlen.“ Er schwieg. Er kannte diesen Tonfall; Khepri war nicht leicht aus der Ruhe zu bringen.
„Hast du’s seitdem wieder gehört?“
„Nein. Ich hab’s eingewickelt gelassen, weil ich…“ Sie hielt inne, suchte nach den richtigen Worten. „Weil ich das Gefühl hatte, dass es mich beobachtet.“
„Ein Amulett, das beobachtet.“ Percy atmete tief ein, dann seufzte er. „Khepri, ich will dich nicht auslachen, aber das klingt eher nach… psychologischer Resonanz als nach echter Magie. Vielleicht hat das Ding einen Restzauber gespeichert, so was wie eine Echo-Signatur. Artefakte können das manchmal, besonders wenn sie alt sind.“
Khepri verdrehte die Augen, aber ein Lächeln huschte über ihre Lippen. „Natürlich würdest du das sagen.“ „Was denn sonst?“ „Ich weiß ja, dass du lieber Theorien sammelst als Antworten.“ Sie nahm das Amulett wieder in die Hand. In dem Moment, als ihre Finger das kalte Metall berührten, zuckte ein schwaches grünes Licht über den Riss in der Mitte. Ganz kurz. Percy sah es. Er sah, wie die Farbe durch das gebrochene Obsidianauge flackerte, wie sich der Ouroboros auf der Rückseite für einen Herzschlag lang zu bewegen schien. „Was war das?“ „Keine Ahnung.“
Sie legte es behutsam wieder hin, beide starrten darauf, als könnte es gleich wieder aufleuchten. „Das ist kein Restzauber“, sagte Percy schließlich. Seine Stimme war leiser, fast ehrfürchtig. „Das war… aktiv.“
Khepri nickte. „Ich hab’s dir gesagt.“ „Du weißt, dass du das untersuchen musst.“ „Natürlich. Aber nicht jetzt. Nicht hier.“
Er wollte protestieren, doch sie war schneller. „Wenn ich Recht habe, dann reagiert es auf mich. Und ich will nicht, dass irgendjemand anderes das bemerkt – nicht Snape, nicht die Professoren, niemand.“ Percy starrte sie einen Moment an. Dann seufzte er, senkte die Stimme. „Du spielst mit Dingen, die du nicht verstehst.“ „Und du hast Angst davor, dass ich sie verstehen könnte.” Für einen Moment lächelte er, schwach, aber ehrlich. „Vielleicht ein bisschen.“ Khepri wickelte das Amulett wieder in den Schal. „Ich find’s trotzdem raus.“ „Natürlich tust du das“, murmelte Percy. „Du bist schließlich Khepri Khairy.“ Sie grinste - und in diesem Augenblick flackerte das Kerzenlicht über ihren Gesichtern, als hätte das Schloss selbst zugehört.
“Ich habe aber noch etwas zu erledigen. Würdest du mir auch damit noch helfen?” Khepri zog zwei identische Klappspiegel aus ihrer Tasche; jeder handtellergroß. “Den einen habe ich Liliana mal geschenkt, der andere ist von mir. Sie war so lieb, ihn mir zu geben.” Sie legte beide Spiegel nebeneinander auf den Tisch, wo vorhin noch das Amulett gelegen hatte. “„Ich hab mir das überlegt“, sagte Khepri und fuhr mit dem Finger über den Rand eines Spiegels. „Wenn Porträts sprechen können und wenn Zauberspiegel Bewegungen zeigen, dann muss es auch möglich sein, eine magische Verbindung zwischen zwei identischen Objekten herzustellen.“ Percy hob eine Augenbraue. „Kommunikation über Distanz? Das ist hochkomplexe Magie, Khepri. Selbst für Zauberer, die seit Jahrzehnten forschen.“ „Ich weiß“, antwortete sie ruhig. „Aber ich will ja nichts Dauerhaftes erschaffen. Nur einen Kanal. Einen, der offen bleibt, solange beide Spiegel aktiv sind.“
Percy seufzte, aber sein Blick wurde weich. „Für Shukran.“ Sie nickte. „Dann tun wir’s richtig.“
Er stand auf und zog ein Buch aus einem nahegelegenen Regal, als kenne er die Bibliothek auswendig - was sicher auch der Fall war. „Zaubermaterialien und Resonanzverbindungen“ Er begann zu blättern. Khepri beugte sich über den Spiegel und kritzelte mit einem Stück Kreide erste Linien auf den Rahmen: einfache Runen für Sehen, Sprechen, Hören, Verbindung. „Und das soll funktionieren?“
„Wenn beide Spiegel gleichzeitig verzaubert werden, ja. Sie müssen dieselbe magische Signatur tragen. Ich versuche es mit einem simplen Dreifachzauber. Vielleicht reagieren sie aufeinander.“
Sie stellte beide Spiegel nebeneinander, zog den Zauberstab und murmelte konzentriert „Speculum connectere - visio reflecta - vocem conjunge.“
Ein leiser Windzug ging durch die Bibliothek, und beide Spiegel schimmerten kurz silbrig auf. Dann Stille. Khepri hielt den Atem an. Der Spiegel flackerte – und auf der Oberfläche erschien ihr eigenes Spiegelbild, verschwommen, als wäre eine zweite Gestalt dahinter.
Eine Hand, kaum sichtbar, und eine Bewegung.
Percy beugte sich vor. „Das… das war ein Schatten!“ „Ich weiß! Es hat funktioniert!“
Sie grinste, stolz und atemlos. Doch das Lächeln verblasste, als das Spiegelbild langsam dunkler wurde, bis nur noch trüber Nebel zu sehen war. „Ich kann keine Stimme hören.“
Percy runzelte die Stirn. „Vielleicht ist der Kanal zu schwach. Oder das Medium nicht stabil genug. Versuch’s noch mal, aber langsamer.“ Khepri tat es, dreimal, mit perfektem Timing – doch das Ergebnis blieb gleich: nur Schatten, keine Stimme, kein Gesicht. Nach einer Weile legte sie den Zauberstab hin.
„Ich verstehe es nicht“, murmelte sie. „Alles ist korrekt – Symbole, Rhythmus, Aussprache. Die Verbindung sollte stehen.“ Percy sah sie lange an. „Vielleicht braucht’s mehr als Theorie. Vielleicht muss man... fühlen, was man verbindet.“ Khepri lachte leise, ohne ihn anzusehen. „Ich kann mich schlecht in zwei Spiegel verlieben, Percy.“ Er grinste. „Ich meinte Shukran und Maya.“ Sie schwieg, und das Licht der Kerze flackerte, als ob es über seine Worte nachdachte.

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