Aus den Aufzeichnungen von Khepri Khairy - 6. Oktober 1992
Über ein Monat ist vergangen, seit ich das Amulett gefunden habe.
Und ich weiß kaum mehr als am ersten Tag. Percy hilft mir mit der Recherche. Selbstverständlich mit Listen, Quellenangaben und einer Struktur, die so streng ist, dass selbst Madam Pince beeindruckt wäre. Wir haben alles durchsucht, was wir finden konnten: Familienchroniken, Artefaktregister, selbst ein paar verbotene Dissertationen über Blutmagie (die Madam Pince nur mit viel Zureden herausgerückt hat).
Nichts. Kein einziger Eintrag über ein Messingamulett mit Obsidianstein und Ouroboros-Gravur. Ich beginne zu glauben, dass meine Uroma es nie registrieren ließ. Vielleicht war es zu persönlich. Oder zu gefährlich.
Das Amulett selbst bleibt still.
Ich habe es bisher nur dreimal ausgepackt – jedes Mal fühlte sich die Luft an, als würde sie einen Moment lang anhalten. Der Stein ist kühl, egal, wie lange ich ihn halte.
Aber manchmal, wenn ich ihn wieder in meinen Schal wickele, schimmert er ganz leicht.
Nur ein Hauch von Grün. Als würde er… reagieren.
Percy glaubt, es sei eine Form von Speicherobjekt.
Er sagt, Obsidian könne magische Signaturen festhalten, ähnlich wie Denkariumssilber, nur ungezielter. Vielleicht, meinte er, sei etwas von meiner Uroma darin zurückgeblieben.
Ich weiß nicht, ob mich das trösten oder beunruhigen soll. Er wollte, dass ich es ihm leihe, zu Forschungszwecken. Ich habe abgelehnt. Ich habe ihm nicht gesagt, warum.
In der Nacht, nachdem ich es das erste Mal in Händen hielt, habe ich geträumt, dass jemand meinen Namen flüstert.
Nicht laut, nicht bedrohlich. Nur… wissend. Ich kann mich nicht an die Worte erinnern, aber ich weiß, dass sie alt waren. Alt wie die Schrift im Stein. Ich habe mir geschworen, nichts Überstürztes zu tun. Ich will verstehen, nicht glauben.
Aber in letzter Zeit fällt mir das schwerer. Immer wenn ich in der Bibliothek sitze, scheint das Amulett in meiner Tasche schwerer zu werden – als wolle es, dass ich es endlich wieder ansehe. Vielleicht ist das Einbildung.
Oder vielleicht… fangen alte Dinge irgendwann an, ungeduldig zu werden.
Die Große Halle war erfüllt von einem gedämpften Stimmengewirr und dem Klirren von Besteck auf Porzellan. Über den langen Tischen schwebten Kerzen, deren Wachs in der Luft verglühte, und die goldene Morgensonne fiel in langen Streifen durch die hohen Fenster.
Khepri saß zwischen Liliana und Adrian am Slytherin-Tisch, den Kopf in die Hände gestützt, und blinzelte müde in ihr Honigtoast. „Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht durchgelernt,“ bemerkte Liliana beiläufig, während sie Marmelade auf ihr Brötchen strich.
„Ich hab kaum geschlafen.“ „Bibliothek?“ „Ja.“ „Mit Percy?“
Khepri sah auf. „Was willst du damit sagen?“
Liliana grinste. „Nichts. Nur, dass du dieses Nichts ziemlich heftig verteidigst.“
Bevor Khepri etwas erwidern konnte, ließ sich Marcus Flint auf der Bank gegenüber nieder, so ungestüm, dass die Kaffeetasse klirrte. Er trug schon seine Quidditchuniform, obwohl das Training erst in zwei Stunden begann, und sein Blick verriet, dass er irgendetwas sagen wollte. „Du bist früh dran,“ sagte Liliana, nicht ohne spöttischen Unterton. „Arbeit beginnt, bevor die Sonne aufgeht,“ erwiderte er und griff nach einem Apfel. „Oder Langeweile,“ murmelte Khepri. Er blickte auf. „Was?“ „Nichts. Ich hab nur gesagt, du musst dich ja zu Tode langweilen, wenn du schon um sieben Uhr in voller Montur hier aufkreuzt.“
Marcus grinste schief. „Ich nenn’s Engagement. Etwas, das dir vielleicht fehlt, Khairy.“ Khepri hob eine Augenbraue. „Dir fehlt eher der Realitätssinn. Ich habe im Sommer geübt – ich würde dich vom Besen fegen, wenn du mich lassen würdest.“ „Wenn ich dich lassen würde,“ wiederholte Marcus langsam, als koste er die Worte aus. „Aber das ist ja der Punkt, oder?“ „Was meinst du?“ „Ich lasse dich nicht.“ „Wie ritterlich,“ spottete Khepri, „für jemanden, der Angst hat, von einer kleinen Hexe besiegt zu werden.“
Adrian Pucey kicherte in seinen Kürbissaft. Marcus funkelte ihn an, bevor er sich wieder Khepri zuwandte. „Ich hab keine Angst. Ich halte nur Ordnung. Es gibt Regeln.“ „Altmodische, lächerliche Regeln,“ entgegnete sie, während sie ein weiteres Brötchen mit einer fast beleidigten Präzision bestrich. Sie hatte gar keinen Hunger mehr, aber sie wollte etwas mit ihren Händen zu tun haben, um Marcus Flint nicht an die Gurgel gehen zu können. „Die funktionieren,“ sagte Marcus ruhig, aber sein Mundwinkel zuckte. „Ich meine – schau dich an. Du redest mehr über Quidditch, als du es je gespielt hast.“ „Vielleicht, weil du mich nie lässt.“ „Vielleicht, weil du sonst den ganzen Fokus der Mannschaft auf dich ziehst.“
Khepri erstarrte für einen Moment, dann lachte sie trocken. „Oh, das war’s also. Du hast Angst, dass die Jungs dich nicht mehr ernst nehmen, wenn ich mitspiele.“ Marcus’ Blick blieb an ihr hängen, intensiver als sie erwartet hatte. „Ich hab Angst, dass du dann ständig alle vom Quaffel ablenken würdest.“
Liliana hustete auffällig in ihr Brötchen, Adrian machte ein bemüht neutrales Gesicht. Khepri, die einen Moment brauchte, um die Bemerkung zu verarbeiten, stemmte die Ellenbogen tief in den Tisch. „Ist das dein Versuch von Charme, Flint? Oder war das ein Unfall?“ „Ein Unfall mit Absicht.“, erklärte er schmunzelnd. „Dann wünsch ich dir, dass du besser fliegst, als du flirtest.“, schnaubte Khepri ihn an.
Marcus’ Grinsen wurde breiter. „Da bin ich mir nicht sicher.“ Sie funkelte ihn an, aber er hielt den Blick und in diesem stillen, elektrischen Moment hätte man meinen können, dass sie sich gegenseitig etwas anderes beweisen wollten als nur sportliches Können und Durchsetzung.
Er war es, der zuerst das Schweigen brach. „Sag Bescheid, wenn du doch mal trainieren willst. Ich brauche jemanden, der mir die Bälle poliert.“ „Träum weiter,“ erwiderte Khepri kühl, aber ihre Ohren glühten.
In diesem Moment flatterte eine kleine Eule herein und unterbrach die Spannung, bevor jemand etwas sagen konnte. Der Brief - Shukrans Handschrift - landete vor Khepri, und mit einem letzten, viel zu zufriedenen Grinsen stand Marcus auf. „Bis später, Khairy.“
Liliana wartete, bis er außer Hörweite war, und lehnte sich dann verschwörerisch vor. „Also, das war eindeutig kein normaler Streit.“ „Doch,“ sagte Khepri rasch, um Liliana bloß von dieser Szene abzulenken, und rollte den Brief auf. „Der ganz normale Wahnsinn.“
Liliana lächelte. „Oder ganz normaler Anfang.“ Khepri streckte ihr die Zunge raus, als sie aufstand und die Große Halle verließ.
Draußen auf dem Hof lag der Geruch von feuchtem Gras in der Luft. Shukran wartete schon an der Mauer, die den Weg zum Gewächshaus säumte. Sein Umhang hing offen, die schulterlangen schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht. Langsam ging sie zu ihm, ihre Schritte hallten leise. „He, du. Du siehst aus, als hättest du gerade einen ganzen Verwandlungsaufsatz gefressen.“ Er hob den Kopf. „Es funktioniert nicht, Khepri.“
Seine Stimme klang müde, stumpf, ohne Vorwurf, nur… irgendwie leer.
Khepri setzte sich neben ihn. „Der Spiegel?“ Er nickte, zog ihn aus der Tasche. Das Glas war klar und glatt, spiegelte nur den grauen Himmel über ihnen. „Wir haben es so lange probiert. Ich seh’ manchmal Schatten. Mehr nicht. Kein Bild, keine Stimme. Vielleicht war es zu viel verlangt.“
Sie nahm den Spiegel in die Hand, drehte ihn, als könnte sie irgendwo den Fehler sehen.
„Ich hab’ alles richtig gemacht. Runen, Bannkreis, Spruch - sogar Percy hat mitgeholfen.“ „Dann liegt’s wohl an mir.“ Er lächelte schief, aber ohne Freude.
Khepri runzelte die Stirn. „Quatsch.“ „Doch. Maya sagt, sie sieht manchmal Bewegung, aber… vielleicht ist es wie…“ Er suchte nach Worten. „Wie ein Schatten von dem, was wir in den Ferien sind. Zusammen. Aber eben nur ein Schatten.” Er ließ die Schultern hängen.
Eine Weile saßen sie still nebeneinander. Nur der Wind raschelte in den Bäumen. „Ich wollts für dich möglich machen“, sagte Khepri leise. „Ich dachte, wenn es klappt, ist alles ein bisschen leichter.“ „Ist es auch.“ Er sah sie an, und zum ersten Mal seit Wochen war da wieder ein Hauch Wärme in seinem Blick. „Allein, dass du’s versucht hast.“
Sie nickte, drückte ihm den Spiegel in die Hand zurück. „Vielleicht braucht es mehr… Gefühl. Ich weiß nicht. Etwas, das ich noch nicht verstehe.“ Das war zumindest Percys Einschätzung gewesen. Er grinste schwach. „Das sagst du oft, wenn du kurz davor bist, was Großes zu finden.“ Sie lachte leise. „Vielleicht. Oder ich rede mir nur was ein.“ Ein Windstoß fegte über den Hof und trug ein paar Blätter davon. Shukran steckte den Spiegel wieder ein. „Ich hebe ihn trotzdem auf. Vielleicht wacht er irgendwann auf.” „Vielleicht tut er das.“
Sie sah ihm nach, als er den Weg Richtung Schloss hinaufging. Er wirkte immer noch traurig, aber nicht mehr gebrochen. Khepri blieb noch etwas sitzen, den Blick in den Himmel gerichtet. Der Spiegel hatte nicht funktioniert, und doch hatte er etwas bewirkt: Er hatte ihren Bruder für einen Moment wieder lächeln lassen.
Und das, dachte sie, war vielleicht schon ein kleiner Zauber an sich.
“Ich finde raus, was ich falsch gemacht hab. Ich verspreche es dir.”, sagte sie leise zu seinem sich entfernenden Rücken.
Im Zaubertränkeunterricht war es kühl und roch nach Schwefel. Professor Snape diktierte Zutaten, seine Stimme glitt wie Öl über den Raum. Khepri beugte sich über ihr Pergament, suchte nach ihrer Feder- und griff die falsche. Eine schmale, alte Feder mit vergoldeter Spitze, die wohl jemand liegen gelassen hatte. Sie tunkte sie in die Tinte, wollte ihren Namen schreiben, kam aber nur bis Khe-. Und dann begann die Feder plötzlich, von allein weiterzuschreiben. Zuerst vervollständigte sie ihren Namen. Dann folgten fremde Worte. Latein, vermischt mit Symbolen, die aussahen wie Runen. “Anima vincula…”
„Miss Khairy!“ Snapes Stimme schnitt eisig durch die Stille. Sie fuhr zusammen und die Feder fiel zu Boden. Snape stand direkt vor ihr, die Augen auf das Pergament geheftet. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie etwas, das sie nie erwartet hätte: eine Spur von Furcht.
„Woher haben Sie diese Feder?“ „Ich- sie lag auf dem Tisch, Professor, ich dachte-“ „Sie dachten nicht. Geben Sie her.“
Er nahm sie mit einem schnellen Griff, als hätte er Angst, sie zu berühren, und steckte sie in die Innentasche seines Umhangs. „Diese Übung ist beendet,“ sagte er tonlos. „Der Rest von Ihnen - weitermachen.“ Er drehte sich um und verließ das Klassenzimmer.
Hinter ihm flüsterte Liliana: „Was war das denn?“ Khepri hatte keine Antwort. Nur das Gefühl, dass sie gerade etwas gesehen hatte, das sie nicht hätte sehen dürfen.
Die Bibliothek war still wie ein Grab.
Nur der ferne Regen gegen die hohen Fenster und das gelegentliche Knarren des Bodens unter den Teppichen erinnerten daran, dass das Schloss lebte. Khepri hatte sich mit Percy an einem der hinteren Tische niedergelassen, wo kaum jemand sie störte. Zwischen ihnen lag ein halber Turm aus Büchern. „Also gut,“ sagte Percy und blätterte energisch. „Du hast in Snapes Unterricht eine Feder benutzt, die angefangen hat, eigenständig zu schreiben.“ „Du warst doch dabei, Percy.“ „Und du bist sicher, dass sie keine von dir war?“ „Percy.“ „Gut, gut. Ich frag ja nur. Wir müssen methodisch vorgehen.“
Er zog eine Pergamentrolle hervor, auf der er bereits Überschriften notiert hatte: Schreibfedern – verzaubert / verflucht / verboten. Khepri grinste schwach. „Natürlich machst du eine Liste.“ „Listen sind Ordnung.“ „Und Ordnung ist langweilig.“ „Und langweilig rettet Leben,“ konterte er, ohne aufzusehen.
Khepri stand auf und begann, zwischen den Regalen nach passenden Bänden zu suchen. Ihre Finger glitten über Buchrücken aus Leder und Pergament, während sie leise murmelte: „Ich schwöre, irgendwas an dieser Feder war... alt. Wie aus einer anderen Zeit.“ „Vielleicht war sie das,“ murmelte Percy abwesend. „Oder sie gehörte jemandem, der sie mit dunkler Tinte benutzt hat.“ Sie zog ein Buch aus dem Regal, das beim Öffnen eine kleine Staubwolke freisetzte: „Historische Schreibinstrumente der Zauberei – von Runen bis Quills.“ „Das sieht vielversprechend aus,“ sagte sie. „Nur wenn’s ein Register hat.“, entgegnete Percy. Natürlich, denn bekanntermaßen war nichts vielversprechender als ein gut sortiertes Register.
Sie blätterte. Die Seiten waren vergilbt, die Zeichnungen wunderschön: filigrane Federn mit geschnitzten Griffen, Beschreibungen alter Tintenarten, magischer Tinte mit Erinnerungsfäden. Ein Abschnitt ließ sie stutzen. „Hier – ‘Pensieve Quills’. Schreibfedern, die Gedankenströme in Text umwandeln.“ Percy hob den Kopf. „Also sowas wie ein Denkarium, nur handlich?“ „Genau. Aber die hier... speichern nur die Emotionen eines Gedankens, nicht den Inhalt.“
„Das klingt ineffizient.“, sagte Percy und schon seine Brille ein Stückchen höher. „Das klingt menschlich,“ erwiderte sie ruhig.
Percy las über ihre Schulter. „Hier steht, die Pensieve-Federn wurden im 15. Jahrhundert verboten, weil sie durch emotionale Resonanz unkontrollierbare Zauber auslösen konnten.“ „Dann wäre das doch genau das Richtige.“ „Khepri, wenn eine Feder aus dem 15. Jahrhundert in Snapes Unterricht lag, dann hat er ein größeres Problem als seine Schüler.“ Sie lächelte schief. „Oder ich hab eines.”
Eine halbe Stunde verging.
Die Tür knarrte, Madam Pince huschte vorbei und zischte ein unverständliches „leise da hinten!“, woraufhin Percy schuldbewusst dreinblickte, obwohl sie kein Wort gesagt hatten.
Khepri schlug das nächste Buch auf - ein dickes, in schwarzes Leder gebundenes Werk: „Vergessene Zauberobjekte und ihre Nebenwirkungen“. Sie blätterte langsam, dann blieb ihr Blick hängen. Eine Illustration einer Feder, die in dunkle Tinte tauchte, begleitet von der Überschrift: Scripta Memoriae - Schrift des Gedächtnisses. „Da,“ sagte sie leise.
Percy trat näher, legte sich fast über ihre Schulter, um mitzulesen. Der Text war brüchig, die Tinte stellenweise verlaufen.
Diese Artefakte sind selten, entstanden in der späten Renaissancemagie.
Sie zeichnen nicht Worte auf, sondern Gedanken – in der Sprache des Schreibers oder der Sprache der Magie.
Sie können Erinnerungen bewahren, doch auch jene des nächsten Besitzers beeinflussen. Ihr Gebrauch gilt als riskant, wenn die Gedanken, die sie tragen, unerlöst bleiben.
„Unerlöst,“ wiederholte Percy leise. „Das klingt nach einem Fluch.“
Khepri nickte. „Oder nach einem schlechten Traum.“ Sie lehnte sich zurück.
„Also... diese Feder war vielleicht mit jemandes Gedanken gefüllt?“ „Oder mit jemandes Geheimnis,“ sagte Percy, ernst wie immer. „Snapes?“ Er schwieg.
Khepri schloss das Buch. „Er hat Angst gehabt, Percy. Ich hab’s gesehen. Er hat sie weggenommen, als hätte sie ihn gebissen.“ „Vielleicht hat sie das. Auf ihre Art.“ „Oder sie wusste etwas über mich.“
Percy runzelte die Stirn. „Khepri, du glaubst doch nicht, dass-“ „Ich weiß nicht, was ich glauben soll,“ unterbrach sie. „Aber ich weiß, dass das alles zusammenhängt.“ Sie schwiegen eine Weile, das Licht über ihnen wurde schwächer.
Khepri drehte den kleinen Taschenspiegel in der Hand, den sie immer bei sich trug.
„Shukran sagt, es funktioniert nicht. Nur Schatten. Kein Bild, keine Stimme.“
Percy sah von seinem Buch auf. „Vielleicht, weil ihr Zauber auf Emotionen basiert. Spiegel sind Symbole, keine Kanäle. Sie müssen fühlen, nicht denken.“ „Klingt, als würdest du mich zitieren.“ „Das Schlimme ist, ich glaub, ich tu’s wirklich.“
Sie lächelte, schwach, müde. „Ich wünschte, ich könnte ihm einfach helfen. Nur einmal etwas für ihn tun, das wirklich funktioniert.“ „Das tust du,“ sagte Percy leise. „Du versuchst es.“
Er wollte noch etwas hinzufügen, doch in dem Moment fiel ihr Blick auf die Risskante des Amuletts, das unter dem Schal in ihrer Tasche verborgen war. Ein kaum wahrnehmbares Leuchten pulsierte für einen Herzschlag lang durch den Stoff. Sie legte die Hand darauf und das Licht erlosch.
„Manchmal,“ sagte sie, ohne ihn anzusehen, „habe ich das Gefühl, dass es mich ruft.“ „Das Amulett?“ „Oder etwas in ihm.“
„Dann ruf zurück,“ meinte Percy, „aber vielleicht nur, wenn ich dabei bin.“
Khepri hatte die Bibliothek gerade verlassen, als sie eine Stimme aus dem Schatten neben der Tür hörte. „Du hast echt ein Talent dafür, Ärger magisch anzuziehen.“ Sie fuhr herum. Marcus Flint lehnte an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt, die Kapuze seines Umhangs halb ins Gesicht gezogen. „Was willst du?“ „Mich vergewissern, dass du keine Dummheiten machst.“
Khepri verschränkte ebenfalls die Arme. „Ich mache nie Dummheiten. Ich löse nur Rätsel.“ „Das ist genau das Problem.“ Sie trat einen Schritt näher, die Stirn leicht gerunzelt. „Worauf willst du hinaus?“ Marcus sah sie an, dieser Blick halb genervt, halb ernst. „Ich hab gehört, was in Snapes Unterricht passiert ist.“ „Natürlich hast du. Gerüchte verbreiten sich hier schneller als Doxy-Flügelstaub.“ Er ließ sich davon nicht provozieren. „Du hast eine Feder benutzt, die ihm gehörte. Du weißt schon, dass das keine gute Idee war?“
„Ich wusste nicht, dass sie ihm gehört.“ „Das spielt keine Rolle. In diesem Schloss gibt’s Dinge, in die du besser nicht die Nase steckst.“ Khepri verschränkte die Arme fester. „Das sagt der Typ, der halbe Erstklässler über den Quidditchplatz brüllt.“ Er lachte kurz auf, aber ohne wirklichen Humor. „Ich brülle nur, wenn’s nötig ist.“ Dann, leiser: „Snape ist… kompliziert. Und wenn du Pech hast, bist du in was reingeraten, das größer ist als du. Was ja nicht schwer ist, so winzig wie du bist." Sie hob das Kinn. „Ich kann selbst entscheiden, was zu groß für mich ist.“ „Ja, genau das befürchte ich.“ Ein kurzer Windstoß wehte durch den Flur, ließ die Fackeln flackern.
Marcus trat einen halben Schritt näher, bis sie sein Parfüm wahrnahm – schwach, aber vertraut, nach Leder und kaltem Regen. „Ich meine das ernst, Khairy,“ sagte er leise. „Wenn du schlau bist, lässt du Snape und seine Relikte in Ruhe. Manche Dinge sind gefährlicher, als sie aussehen.“ „Klingt, als wüsstest du genau, wovon du redest.“ „Vielleicht,“ antwortete er. „Oder ich hab nur schon zu oft gesehen, was passiert, wenn jemand glaubt, er wäre unverwundbar.“ Einen Moment standen sie still, nur das Tropfen aus der fernen Wasseruhr war zu hören. Dann lächelte Khepri dünn. „Du machst dir Sorgen.“ „Ich will nur keine Leiche im Gemeinschaftsraum haben. Das würde die Trainingszeiten durcheinanderbringen.“ „Wie rücksichtsvoll.“ Er drehte sich halb zum Gehen, warf ihr aber noch einen letzten Blick zu.
„Ich hab dich gewarnt.“ „Und ich hab dich ignoriert.“ „Ja,“ sagte er und ging die Treppe hinunter. „Das kannst du gut.“
Der Slytherin-Schlafsaal lag still und halbdunkel, nur das fahle, grünlich flackernde Licht der Unterwasserfenster tanzte über die Wände. Liliana saß auf ihrem Bett, die Beine überschlagen, in einem smaragdgrünen Nachthemd, das ihre roten Locken noch leuchtender erscheinen ließ. Sie war damit beschäftigt, ihre Fingernägel mit einem Zauber leicht schimmern zu lassen, als Khepri hereinkam. „Na, endlich,“ sagte sie und ließ den Zauber enden. „Ich dachte schon, du hättest dich mit Percy in einem Bücherregal vergraben.“ Khepri lachte leise. „Fast. Wir haben tatsächlich was gefunden.“ Liliana hob eine Braue. „Ach ja? Und was?“
Khepri warf sich auf ihr eigenes Bett, der Umhang halb über die Schulter gerutscht. „Es ging um diese Feder aus Snapes Unterricht. Sie hat sich selbst bewegt – hat Worte geschrieben, bevor ich sie gedacht hab. Er hat sie mir weggenommen, und… na ja, Percy und ich wollten rausfinden, was das war.“ „Klingt nach dir,“ meinte Liliana, „zuerst in Schwierigkeiten geraten und dann die Bibliothek in Brand stecken, um sie zu erklären.“ „Nur fast. Und wir haben’s auch nicht herausgefunden. Erst dachten wir, es wäre so eine Denkarium-Feder - weißt du, so eine aus alten Zeiten, die Erinnerungen speichert – aber dann...“ Sie zögerte. „Dann haben wir gelesen, dass sie vielleicht Gedanken aufschreibt. Oder Gefühle.“ Liliana ließ die Schultern sinken. „Gefühle? Also sowas wie ‘Ich hasse Snape’? Dann müsste sie hier täglich mit Tinte überfluten.“ Khepri grinste müde. „Eher wie ‘Ich weiß etwas, das du nicht wissen darfst.’“ „Gruselig.“ „Ein bisschen.“
Sie schwiegen eine Weile. Das Licht aus den Fenstern brach in schwachem Schimmer über Lilianas Haar, und Khepri beobachtete, wie ihre Freundin sich gedankenverloren eine Locke drehte. Liliana war einfach… strahlend. Immer gewesen. Selbst in der grünlich-trüben Beleuchtung unter dem See sah sie aus, als hätte jemand sie mit Sonnenlicht gemalt. Und manchmal, wenn Khepri sich so ansah - klein, unscheinbar, mit Tinte an den Fingern und immer ein bisschen zu laut im Denken - dann fühlte sie dieses vertraute, bittere Ziehen in der Brust. Aber Liliana sah sie an und lächelte. Warm, echt, wie immer.
„Hey,“ sagte sie. „Ich hab übrigens gehört, dass Marcus dich später abgefangen hat.“ Khepri verdrehte die Augen. „Natürlich weißt du das.“ „Ich bin nicht umsonst die Königin des Klatsches.“ Liliana grinste. „Aber keine Sorge, ich hab niemandem erzählt, dass du ihn halb in die Luft gesprengt hast.“ „Ich hab nicht-“ „Schon gut. Ich sag ja nur.“ Sie beugte sich ein Stück vor. „Er war übrigens nett zu dir.“ Khepri blinzelte. „Marcus?“ „Ja. Ich hab ihn auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum getroffen. Ich meinte, du wärst wieder mal in der Bibliothek, und er hat nur gesagt—“ „Was?“
„‘Natürlich ist sie das. Sie weiß, was sie tut.’“
Khepri starrte sie an. „Er hat das gesagt?“ Liliana nickte, das Lächeln kaum verbergend. „Und mit diesem Ausdruck, den er immer hat, wenn er versucht, unbeteiligt zu wirken. Weißt du, die Stirn in Falten, der Kiefer zu fest.“ Khepri verdrehte die Augen, aber sie spürte, wie sich Wärme in ihre Wangen schlich. „Na toll. Jetzt analysierst du auch schon seine Gesichtsausdrücke.“ „Nur die interessanten.“
Ein Moment Stille.
Dann grinste Khepri. „Er ist trotzdem ein Esel.“ „Oh, absolut,“ stimmte Liliana zu. „Aber ein Esel, der offensichtlich Respekt vor dir hat.“ „Das wäre neu.“
„Khepri?“ „Hm?“ „Man merkt, dass du ihn magst.“ Khepri warf ihr ein Kissen an den Kopf.
„Ich mag gar nichts!“ „Natürlich nicht,“ sagte Liliana lachend, das Kissen zurückwerfend. „Ich hab nur Augen im Kopf.“ Nach einer Weile ebbte das Lachen ab, und sie saßen still, nur das schwache Gurgeln des Sees über ihnen zu hören.
Liliana zog ihre Decke hoch, lehnte sich gegen das Kopfende und sagte leise: „Ich weiß, du machst dir Sorgen. Um Shukran, um das Amulett, um alles. Aber egal, was du findest – du bist nicht allein dabei.“ Khepri sah sie an. Dann lächelte sie. „Ich weiß. Und das ist das Beste, was ich gefunden habe.“
Liliana griff nach ihrer Hand, drückte sie einmal.
„Gute Nacht, kleine Katastrophe.“ „Gute Nacht, Drama-Queen.“
Das Licht flackerte einmal auf, dann glitt das Schloss in die vertraute, sanfte Dunkelheit.
Khepri schlief unruhig. Das Wasser über dem Slytherin-Schlafsaal war still, doch in ihrem Traum rauschte es wie Wind in einer Höhle. Etwas flüsterte. Kein Wort, nur ein Klang – ein zischendes Echo, das durch die Leere glitt.
Dann wurde es heller. Nicht wirklich Licht, eher ein grünes, schleierhaftes Schimmern, wie Moos unter Glas. Sie stand in einem endlosen Gang aus Stein. Der Boden war nass und in der Ferne tropfte etwas rhythmisch. „Hallo?“ Ihre Stimme hallte zurück, weich, verformt.
Etwas bewegte sich hinter ihr. Ein Rascheln. Ein Zischen. Und dann sah sie sie – die Schlangen. Dutzende, vielleicht Hunderte, die sich lautlos über den Boden wanden, als wären sie aus Schatten gegossen. Sie glitten an ihr vorbei, umkreisten sie, ohne sie zu berühren. Eine davon hob den Kopf. Ihre Augen glühten golden – nicht giftig, nicht bedrohlich, sondern vertraut. Khepri wollte fragen, wer sie sei, doch da kam eine Stimme.
Rauh, flüsternd, wie von weit her. „Du bist zu spät.“ Khepri erstarrte. „Wer spricht da?“
„Ich… bin… Blut. Du… bist… Erbe.“
Sie drehte sich. Der Gang schien sich zu verengen. Überall an den Wänden wuchsen Risse, aus denen grünliches Licht sickerte – wie Adern in Stein. „Erbe wovon?“
Doch anstatt einer Antwort hörte sie nur ein Flüstern, so nah, dass sie es im Kopf fühlte statt in den Ohren: „Finde mich.“
Dann erschien ein Gesicht – nur für einen Atemzug: ein Mann mit bleichen Augen, strähnigem, dreckigem Haar und schmalen Lippen. Er sah sie an, als erkenne er sie, als hätte er gewartet.
„Finde mich, Kind … bring mich heim.“
Ein dumpfer Schlag folgte, wie ein Herz, das zu laut schlug – und Khepri fuhr keuchend hoch. Die Dunkelheit ihres Schlafsaals war still, nur das sanfte Glucksen des Sees über ihr.
Ihre Hände zitterten. Etwas Kaltes lag in ihrer Handfläche. Das Amulett. Sie hatte es beim Einschlafen unter dem Kopfkissen versteckt, doch jetzt lag es offen auf ihrer Haut, eiskalt, fast frostig. Und in das angelaufene Messing war, wie von innen heraus, ein einziger kurzer Satz gezeichnet – nicht eingraviert, sondern glühend wie Tinte, die gleich verlöschen würde: „Finde mich.“
Das Licht erlosch.
Khepri blieb lange wach, das Herz zu laut und der Schlaf zu weit fort, während draußen im Schloss die Schatten sich regten.
Khepri lag still, unfähig, wieder einzuschlafen. Das Amulett ruhte noch immer in ihrer Hand, eiskalt wie der Boden eines Grabes. Sie starrte in die Dunkelheit, in der nur das schwache, grüne Schimmern der Fenster über ihrem Bett tanzte.
Gerade, als sie die Decke über die Schultern zog, hörte sie es. Ein Laut – kaum mehr als ein Hauch. Kein Wind, kein Tropfen, kein Gurgeln, kein Traum. Ein Flüstern.
So… hungrig…
Khepri fuhr aufrecht in die Kissen.
Ihr Herz klopfte so laut, dass sie erst glaubte, sie hätte sich verhört. Aber da war es wieder – eine Stimme, langgezogen, zischend, als krieche sie durch die Mauern selbst.
So lange geschlafen…
Sie tastete nach ihrem Zauberstab, wagte kaum zu atmen. Ihre Augen suchten das Dunkel ab, doch da war nichts, nur der schwache, grünliche Schein über dem Boden.
Ich… rieche sie… das Blut… des Erben…
Die Stimme kam von weit her, vielleicht aus den Tiefen unter dem See, vielleicht aus den Schatten in ihrem Kopf. Khepris Nacken prickelte, ihr Griff um das Amulett verkrampfte sich.
Das Metall war jetzt warm. Dann Stille. Nur ihr Atem, kurz und stoßweise.
Sie wagte nicht, sich zu bewegen. Erst nach einer Weile legte sie das Amulett vorsichtig auf den Nachttisch und flüsterte heiser: „Ich bilde es mir ein. Ich hab’s mir nur eingebildet.“
Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass das nicht stimmte. Etwas war erwacht.
Und es hatte sie gehört.
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