Minikapitel 5.0 - Die Bletchleys

Veröffentlicht am 24. November 2025 um 17:33

Das Haus der Bletchleys war ein anderes Universum als das der Khairys. Kein Lachen, kein Stimmengewirr, kein warmer Tee, der nach Zimt roch. Nur Kerzenlicht, das makellos auf polierten Silberleuchtern brannte, und ein Feuer im Kamin, das so gleichmäßig loderte, dass man fast glaubte, es würde streng nach Vorschrift brennen. Liliana saß aufrecht auf dem Sofa, die Hände ordentlich im Schoß gefaltet. Das Kleid tadellos, smaragdgrün, passend zur Einrichtung, die Locken glänzend wie Glas. Ihre Mutter hatte darauf bestanden. „Du weißt, wie wichtig es ist, dass wir bei den Beauforts einen guten Eindruck hinterlassen. Lächeln, Liliana. Nicht zu breit.“
Liliana lächelte genau im richtigen Winkel. Sie hatte jahrelang geübt, das perfekte Maß zwischen Freundlichkeit und Zurückhaltung zu treffen. Zwischen ‘Ich bin interessiertundIch bin überlegen’.
Ihr Vater diskutierte leise mit Mr. Beaufort über die aktuelle Quidditch-Saison, während Miles an seinem Besenstiel herumspielte, offensichtlich unbeeindruckt von den Etikettepflichten. Liliana beneidete ihn dafür. Sie selbst durfte sich keinen Fehltritt leisten - nicht nach Mamas Worten: „Eine Bletchley lächelt, auch wenn sie fällt.“ „Und wie läuft’s in Hogwarts?“ fragte Mrs. Beaufort mit der übertriebenen Freundlichkeit einer Frau, die ihre Kinder nie selbst zum Unterricht geschickt hatte. „Sehr gut,“ sagte Liliana automatisch. „Ich gehöre zu den Klassenbesten.“ „Natürlich tust du das,“ hauchte ihre Mutter stolz, die Lippen wie eine schmale Linie perfekter Zufriedenheit. Liliana nickte höflich, lächelte und spürte, wie ihr Gesicht allmählich zu einer Maske erstarrte. Sie hörte Stimmen, Komplimente, höfliche Lacher. Aber sie fühlte nichts.
„Ich habe gehört, du bist eng mit der Khairy-Tochter befreundet?“ erkundigte sich Mrs. Beaufort beiläufig. „Die… Ägypterin, nicht wahr?“ Lilianas Lächeln blieb unverändert. „Ja, Khepri. Sie ist sehr klug. Ein bisschen unkonventionell vielleicht.“ „Ach.“ Mrs. Beaufort lächelte dünn. „Nun, Abwechslung ist schließlich auch eine Tugend.“ Ihre Mutter legte Liliana die Hand auf den Arm - sanft, aber bestimmend. „Wir reden später über deine Ausdrucksweise, Liebes,“ flüsterte sie, immer noch lächelnd.
Das Gespräch zog sich wie Honig, langsam und klebrig. Liliana wusste, was erwartet wurde: die perfekte Tochter, das perfekte Lächeln, das perfekte Schweigen. Sie nickte, lachte an den richtigen Stellen, und wünschte sich, jemand würde einfach etwas fallen lassen. Einen Teller, ein Glas, ein Wort. Etwas Echtes.

Später, als die Gäste gegangen waren und das Haus wieder still geworden war, stand sie am Fenster ihres Zimmers und sah hinaus in den verschneiten Garten. Das Licht der Laternen spiegelte sich auf den makellosen Steinstufen. Kein einziger Fußabdruck war zu sehen. Wie war das überhaupt möglich?.
Sie hörte Schritte auf dem Flur. Ihre Mutter. „Liebes, du hast dich heute gut benommen,“ sagte sie leise durch die Tür. „So soll man dich sehen - sei ein Vorbild für deinen Bruder.“ „Ja, Mutter,“ flüsterte Liliana. Die Tür schloss sich lautlos.
Liliana wartete, bis die Schritte verklungen waren. Dann holte sie das Pergament hervor, das sie heimlich unter ihrer Serviette versteckt hatte. Khepris Briefpapier. Sie lächelte. Dieser Brief war ganz typisch für Khepri - unordentlich, halb bekleckst mit Tinte, die Schrift krumm und lebendig. In der Ecke ein gekringelter Tintenklecks, der aussah wie ein kleiner Wurm, oder vielleicht eine Schlange.
Liliana setzte sich an ihren Schreibtisch, tunkte die Feder in die Tinte und begann zu schreiben:
Liebste Khepri,
Ich glaube, deine Familie ist das lauteste, schönste Chaos, das ich je erlebt habe. Ich wünschte, ich wäre geblieben. Hier ist alles… sauber, auf eine gruselige Art. Kein Staub, keine Stimmen, keine kleinen Fehler, an denen man sich festhalten kann.
Manchmal denke ich, das ist der Unterschied zwischen uns: du gehörst zu einem Ort, der lebt. Ich gehöre zu einem, der glänzt.
Miles ist immerhin er selbst geblieben - ignorant, aber echt. Vielleicht ist das alles, was ich mir wünschen kann.
Schreib mir, wenn du kannst. Ich vermisse die Geräusche.
Deine Liliana

Sie versiegelte den Brief mit grünem Wachs, lehnte sich zurück und atmete tief durch. Draußen fiel Schnee - lautlos, perfekt, wunderschön, aber kalt. Genau wie der Rest ihres Lebens.
Doch als sie das Licht löschte, konnte sie sich für einen Moment vorstellen, wieder bei den Khairys in der Küche zu sitzen - mit allen 18 Familienmitgliedern (plus Eleanor und Maya), den Tieren, den Keksen und dem Tee. Ein Geruch von Familie, wie sie ihn sich wünschen würde, wenn man ihr hier erlauben würde, selbst zu entscheiden, wer sie sein wollte.

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