Kapitel 8.3 - Die Dinge nehmen ihren Lauf

Veröffentlicht am 27. November 2025 um 12:54

Professor Sprouts Büro roch wie immer nach Erde, frischem Moos - und im Frühling nach einem Hauch von Sonnenwärme, der durch die alten Fenster fiel. Normalerweise beruhigte dieser Duft Khepri. Heute nicht. Khepri saß aufrecht auf dem Stuhl, die Hände ineinander verschränkt, die Finger steif vor Anspannung. Aaron und Sekani standen rechts und links von ihr, unruhig und nervös vor der Reaktion der Professorin.
Sprout saß ihnen gegenüber, noch im dicken Umhang, den sie offenbar gerade erst übergeworfen hatte - ihre Wangen leicht gerötet, der Ausdruck zwischen Wachsamkeit und Müdigkeit. „Also,“ sagte sie, „Miles Bletchley hat mir gerade etwas sehr Beunruhigendes erzählt. Aber ich möchte es lieber direkt von euch hören. Was genau glaubt ihr zu wissen?“ Ein kurzer Moment Schweigen. Khepri öffnete den Mund. Und brachte kein Wort hervor.
Es war Aaron, der zuerst sprach - aber mit einer Stimme, die Khepri selbst überrumpelte: ruhig, klar, unerwartet erwachsen. „Professor… wir haben etwas gehört, das niemand sonst hören kann.“ Sprout blinzelte. „Etwas gehört?“ „Eine Stimme,“ fuhr Aaron fort. „Eine Stimme, die… nicht menschlich ist.“ Sekani übernahm. „Sie kommt aus den Wänden. Aus Rohren. Und sie flüstert übers Töten.“ Sprout richtete sich langsam im Stuhl auf. „Und ihr… versteht sie?“ Die Worte kamen kaum hörbar. „Ja,“ sagte Khepri schließlich. „Wir verstehen sie.“ Ihre Hände zitterten. Sprouts Blick jedoch blieb fest, aber warm – nie verurteilend. „Und warum,“ fragte sie behutsam, „habt ihr das nicht früher gesagt?“ Khepri schloss die Augen. „Weil wir Angst hatten. Weil wir dachten, es wäre nur… ein Fehler. Ein Albtraum. Weil wir dachten, wir würden uns etwas einbilden.“ „Und,“ fügte Sekani hinzu, „weil wir nicht wussten, was es bedeutet.“ Sprout atmete tief ein - die Art Atem, die Nerven beruhigt und Gedanken sortiert. „Ihr seid nicht verpflichtet, so etwas allein zu tragen,“ sagte sie. „Nie.“ Khepris Hals zog sich zusammen. Ihre Stimme brach. „Wir… wir haben jetzt verstanden, dass es eine Schlange ist. Eine sehr große. Eine, die durch die Rohre gelangen kann.“ „Jemand hat behauptet, er hätte sie gesehen,“ ergänzte Aaron rasch. „Eine riesige Schlange, gestern Nacht.“ Sprout wurde blass - sehr blass. „Eine Schlange. Aus den Rohren.“ Ihre Augen weiteten sich. Sie verstand. Nicht alles - aber genug. „Eine Schlange, die versteinert,“ sagte Khepri heiser. „Nicht tötet, weil niemand sie direkt gesehen hat. Wir glauben… wir glauben, es ist die Kreatur aus der Kammer des Schreckens.“ Sprout stand auf. Nicht hastig. Nicht panisch. Entschlossen. Sie ging zum Kamin und warf ein paar Flohpulverkörner hinein. Grünes Feuer fauchte hoch. „Ich rufe Professor McGonagall, Professor Flitwick und Professor Snape. Und dann den Leiter des Sicherheitsrates.“ „Professor Dumbledore?“ fragte Aaron. Sprout zögerte. Etwas Dunkles huschte über ihren Blick. „Professor Dumbledore ist gerade… abwesend.“ Khepris Magen krampfte sich zusammen. Natürlich. Natürlich war er nicht hier. Natürlich passierte das jetzt. Sprout drehte sich wieder zu ihnen.
„Ihr habt das Richtige getan,“ sagte sie leise. „Ihr habt vielleicht sogar Leben gerettet. Aber-“ Sie musterte sie streng und zugleich unfassbar warm. „Keiner von euch dreien wird von jetzt an irgendwo allein hingehen. Nie. Verstanden?“ Drei ernste Nicken. Dann – sanfter: „Ich bin stolz auf euch. Wirklich.“ Khepri spürte, wie etwas in ihr nachgab. Etwas Schweres, das sich seit Wochen in ihrem Brustkorb eingeklemmt hatte. Aber bevor sie etwas sagen konnte erschütterte ein lautes Krachen den Flur vor dem Büro. Schreie. Hetzende Schritte. Dann eine Stimme, schrill vor Panik:
„Die Weasleys! Die Weasleys suchen ihre Schwester! Niemand findet sie!“ Sekani und Aaron sahen sich an. Khepri fühlte, wie ihr Herz gegen ihre Rippen hämmerte. Sie erinnerte sich an den Anblick von Harry und Ron auf dem Weg in den fünften Stock. Für immer einen Schritt voraus. Wie es immer sein sollte. Wie es immer sein würde.
„Bei Merlin…“ Professor Sprout stützte sich ab. „Wir müssen sofort handeln.“
Sie sah die drei Khairys an. Nicht als Kinder. Als Zeugen. „Ich möchte, dass ihr hier bleibt, bis ich zurückkomme.“ Khepri nickte. Doch in ihr regte sich ein seltsames Gefühl. Eine Ahnung. Eine Ahnung, dass jetzt alles losging.

 

Khepri, Aaron und Sekani standen noch immer in Professor Sprouts Büro, als draußen plötzlich eine Glocke ertönte - die alte Warn-Glocke von Hogwarts, die seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden war. Ein Klang wie geschmolzenes Metall, der durch die Mauern vibrierte und jedem Schüler klarmachte, dass etwas geschehen war, das sich nicht mehr rückgängig machen ließ. Sprout fuhr herum, bleich. „Bleibt hier.“, wiederholte sie. Sie war zur Tür hinaus, bevor einer der drei reagieren konnte. Die Glocke hallte weiter und weiter.
Schwere Schritte im Flur. Weinende Erstklässler. Rufende Lehrer. Khepri fühlte, wie ihre Beine weich wurden. „Sie hat uns zurückgelassen,“ flüsterte Aaron. „Nur für ein paar Minuten,“ sagte Sekani, aber seine Stimme zitterte.
Die Tür flog auf. Professor Sinistra steckte den Kopf hinein. „Ihr drei - sofort in die Große Halle. Keine Diskussion.“ Ihr Blick war angespannt. „Beeilt euch.“ Sie hatten keine Wahl.
Schüler aller Häuser drängten sich in die Halle, von den Vertrauensschülern geführt wie eine Herde aufgeschreckte Schäfchen. Die Tische waren zur Seite gerückt; die langen Holzflächen standen eng an den Wänden, sodass in der Mitte ein freier Platz blieb, den niemand betreten wollte. Über den Köpfen flackerten die Kerzen der verzauberten Decke unruhig. Die Abendsonne am Himmelsdach wirkte zu normal für diese Situation. Zu still.
Khepri fühlte, wie ihre Kehle trocken wurde. Sie suchte Percy. Sie suchte Liliana. Sie suchte Shukran, obwohl sie wusste, dass er nicht da war. Sie fand Liliana zuerst, die sofort herüberlief und sie fest umarmte. „Was ist los? Alle reden durcheinander - jemand meinte, die Weasleys-“ „Ginny,“ flüsterte Khepri, und das Wort schmeckte bitter. „Sie fehlt.“
Liliana wich etwas zurück. „Fehlt? Oder…?“ Khepri schüttelte den Kopf, nicht fähig, es auszusprechen. Aaron und Sekani standen nahe bei ihr, ungewöhnlich blass.
Dann fand Percy sie. Er drängte sich durch die Menge, das Gesicht wachsbleich, das Vertrauensschüler-Abzeichen schief, als wäre er gerannt. „Khepri-“ Seine Stimme brach. „Meine Schwester… Ginny… sie- ich weiß nicht-  ich hab sie überall gesucht- “ Er griff nach ihrer Hand, und Khepri drückte sie fest, obwohl ihre eigenen Finger zitterten. „Wir finden sie,“ flüsterte sie, obwohl sie wusste, dass sie sie nicht finden würden. Nicht sie. Nicht diesmal.
Percy schüttelte den Kopf, hilflos, wütend, schluchzend und doch bemüht, stark zu bleiben. „Ich- ich hätte… ich hätte-“ „Nein,“ sagte Khepri heiser. „Du hättest gar nichts tun können.“
Anders als ich, dachte sie. Denn in ihr rumorte nur ein einziger Gedanke: Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es verhindern müssen. Ich hätte früher verstehen müssen.
Die Puzzle-Teile lagen vor ihr. Wochenlang. Monatelang.
Die Stimme. Die Rohre. Die Schlange. Die Angriffe. Der Schrecken.
Und sie hatte trotzdem nicht die Verbindung gezogen. Ihre Schuldgefühle krochen ihre Wirbelsäule hinauf wie kalte Finger.
Plötzlich ein lautes Geräusch von der Seite - Professor McGonagall war auf das Podest getreten. Noch nie hatte Khepri sie so zerbrechlich gesehen. Ihre Stimme zitterte nicht. Nicht ein einziges Mal. Aber ihre Hände… Ihre Hände waren nicht ganz ruhig.
„Alle Schüler,“ begann sie, „bleiben bis auf Weiteres in der Großen Halle. Die Türen werden geschlossen. Niemand verlässt den Raum, außer auf Anweisung eines Professors.“ Eine Welle von Geräuschen ging durch die Halle. „Es gab einen weiteren Vorfall.“
Percy krümmte sich neben Khepri, als hätte man ihm den Atem aus den Lungen geschlagen. „Miss Weasley ist in die Kammer verschleppt worden.“ Ein kollektiver Aufschrei.
Khepris Herz sackte, obwohl sie es bereits gewusst hatte.
Percy presste die Hände vors Gesicht. Khepri umarmte ihn, und er klammerte sich an sie, als würde er sonst den Boden verlieren. Liliana stand hinter Khepri und legte beide Hände auf ihre Schultern. Aaron und Sekani kamen näher - Familie im Sturm.
McGonagall fuhr fort: „Professor Snape und Mr. Filch sichern die Korridore. Professor Sprout und Professor Flitwick koordinieren die medizinische Versorgung.“ Eine zitternde Pause. „Professor Lockhart… hat sich bereiterklärt, die Kammer des Schreckens aufzusuchen.“ Ein Murmeln, diesmal anders - spöttisch, entsetzt, ungläubig. Khepris Augen wurden groß. Lockhart? Die Witzfigur mit dem goldenen Lächeln? Der sollte in die Kammer? „Nein…“, hauchte sie.
Liliana lehnte sich zu ihr vor. „Das kann nicht ernst gemeint sein.“ Khepri schüttelte den Kopf. Aber etwas in ihr wurde ganz still. Harry und Ron waren natürlich nicht in der Halle.
Sie wusste es, Lockhart würde scheitern. Natürlich. Aber Harry… Harry war Harry.

 

Percy hatte sich inzwischen hingesetzt, die Ellenbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen vergraben. Khepri kniete sich neben ihn. „Percy… ich… es tut mir so leid.“ „Du hast sie erst gestern gesehen,“ sagte er tonlos. „Sie war krank. Ein bisschen blass. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich ausruhen. Ich hätte… ich hätte-“ „Du hättest nichts wissen können.“ Sie meinte es. Aber die Worte brannten in ihrer eigenen Brust, als wären sie giftig. Denn sie dachte gleichzeitig: Ich schon. Ich hätte es wissen können.
Sekani stand starr, die Hände in die Ärmel geschoben. „Es wird jetzt schnell gehen,“ murmelte er. „Mit der Auflösung. Es muss.“ Aaron nickte angespannt. „Wenn wir es wissen konnten… dann wissen es die Lehrer längst auch.“
Khepri biss sich auf die Lippe.„Ich hätte früher zur Professorin gehen sollen,“ sagte sie. „Ich hätte-“ „Nein,“ sagte Liliana scharf, und ihre Stimme schnitt wie ein Dolch. „Du stopp. Sofort. Du hast mehr getan als irgendwer sonst. Du hast nicht versagt. Du darfst dir nicht diese Schuld aufbürden.“ Aber Khepri fühlte sich, als würde ihr Brustkorb zerspringen. Sie sah zu den großen Türen, die sich langsam schlossen. Sie hörte erneut das Echo der Stimme aus den Rohren, das Wort töten, das im Flur gehallt hatte. Sie spürte das Gewicht des Amuletts unter ihrem Kissen im Schlafsaal, weit weg von ihr. Sie fühlte Shukrans Abwesenheit wie eine klaffende Wunde. Und sie wusste: Die Geschichte stand an ihrem Wendepunkt. Und sie war mittendrin.

Die Türen der Großen Halle waren verriegelt. Nicht verschlossen wie bei einem Fest, nicht geschützt wie bei einer Prüfung, sondern versiegelt, als hätte Hogwarts selbst beschlossen, dass niemand hinausdürfe, bis die Wahrheit ans Licht gekommen war. Die Halle war gedämpft von Murmeln, gelegentlichem Schluchzen und der nervösen Unruhe so vieler Schüler, die sich auf den kalten Steinboden gesetzt hatten - in Gruppen, in Clustern, manche allein. Die Lehrer patrouillierten am Rand wie Schatten. Der verzauberte Himmel wirkte nun krankhaft bleich.
Khepri konnte nicht sitzen. Es war, als wäre jeder Muskel in ihr zu laut, zu eng, zu viel.
Shukran war nicht hier. Penelope war versteinert. Hermine Granger ebenso. Ginny war in der Kammer. Und irgendwo tief unter ihnen – eine Stimme. Flüsternd. Hungrig.
Sekani und Aaron waren zusammen, die Köpfe dicht beieinander, flüsternd, aber nicht in Parsel - einfach erschöpft. Liliana saß auf einer der langen Bänke, die Beine angezogen, den Kopf gegen den Pfosten gelehnt. Ihre sonst makellosen Locken wirkten zerzaust. Percy war ein Stück weiter, völlig in sich zusammengesunken, Fred und George rechts und links neben ihm. Er weinte kaum sichtbar - aber sein Körper verriet alles. Khepri stand einfach nur da. Reglos. Leer. Frierend.
Die Kälte kam aus dem Steinboden und kroch ihr unter die Haut, als wäre sie selbst ein Teil von Hogwarts geworden.
„Khepri.“ Sie drehte sich um, und Marcus stand hinter ihr. Nicht laut. Nicht spöttisch. Nicht mit verschränkten Armen oder einem schiefen Grinsen. Nur er. Marcus, mit einem Blick, der mehr sagte, als seine Worte jemals konnten. „Setz dich“, murmelte er. „Du stehst da, als würdest du jeden Moment umkippen.“ „Ich kann nicht sitzen.“ Ihre Stimme klang brüchig, als hätte jemand daran gerissen. Er musterte sie still. Dann setzte er sich selbst auf den Boden . direkt an die Wand - und klopfte auf den freien Platz neben sich. „Wenn du nicht sitzen kannst“, sagte er leise, „kannst du wenigstens… nicht stehen.“ Es ergab keinen Sinn. Und gleichzeitig irgendwie doch. Khepri zögerte - dann ließ sie sich langsam auf den Stein sinken, die Knie angezogen, die Arme darum geschlungen. Marcus lehnte den Kopf gegen die Wand. Nichts an ihm war angespannt. Nichts gekünstelt. Zum ersten Mal seit Wochen war er einfach… ruhig.
„Es ist nicht deine Schuld.“ Khepri schloss die Augen. Es hing ihr bald zu den Ohren raus. Sie konnte es nicht ertragen, dass sie das alle sagten. „Sag das nicht.“ „Es ist trotzdem wahr.“ „Marcus…“ Sie rang mit Worten, die nicht herauswollten. „Ich hätte etwas tun können. Ich habe etwas gehört. Vor Wochen schon.“ „Das heißt nicht-“ „Doch.“ Ihre Stimme riss. „Doch. Ich habe es weggeschoben. Ich dachte, es wäre mein…“ Sie stockte. „Mein Problem. Nicht etwas, das Hogwarts betrifft. Nicht etwas, das…“ Ginny betrifft. Penelope betrifft.
Ihre Kehle tat weh. Marcus sagte nichts. Er ließ sie reden, atmen, zittern. Und als sie nach Luft rang, als Schuld und Panik und Müdigkeit sich in ihren Rippen verhakten, legte er eine Hand auf ihren Unterarm. Nicht fest. Nicht drängend. Nur eine Berührung, warm und erdend. Und Khepri brach. Nicht laut, nicht sichtbar. Aber etwas in ihr gab nach, wie eine gespannte Saite, die endlich nicht mehr halten konnte.
„Marcus…“ Sie schloss die Augen. „Ich kann nicht mehr hören, wie alle sagen, es wird schon gut. Es wird vielleicht nicht gut. Nicht diesmal.“ Er sah sie lange an. Dann: „Ich weiß.“ Zwei Worte. Ehrlich und ernst, keine Versprechen, keine Lügen.
Dann flackerte der Himmel über ihnen. Die Kerzen flammten kurz auf.
Und Khepri hörte es wieder. Nicht laut. Nicht vollständig.
Nur ein hauchdünnes, zischendes tö..ten.. wie Sand, der unter Wasser rieselt.
Sie zuckte zusammen. Marcus‘ Kopf ruckte in ihre Richtung. „Khepri?“ „Ich…“ Sie presste sich eine Hand gegen die Stirn. „Es ist die Stimme. Sie… sie hört nicht auf.“
„Du hörst sie jetzt?“ Sie nickte, atmete scharf ein. „Es ist leiser. Aber… aber da.“
Sie sah ihn an. Und in seinem Blick lag kein Zweifel, kein Spott, kein Unverständnis. Nur Ernst. „Dann bleibst du bei mir.“ Sie blinzelte. „Was?“
„Du hast richtig gehört.“ Er verschränkte die Arme, als müsse er sich selbst Mut machen. „Du bist nicht allein, okay? Solange die Türen zu sind, weiche ich nicht von deiner Seite. Punkt.“ Khepri starrte ihn an. Marcus Flint.
Quidditch-Captain. Chaosbringer. Sturkopf.
Und jetzt ein unerwartetes Stück Halt. Ein Funken Wärme in einem eisigen Meer. Ein Mensch, der blieb.
Die Schüler versuchten, sich zusammenzurollen, manche im Sitzen, manche aneinander gelehnt. Erstklässler flüsterten. Siebtklässler hielten Wache. Lehrer schritten wie müde Statuen durch die Halle und draußen in den Fluren.

 

Die Große Halle lag in einer dichten Dunkelheit, die selbst die verzauberten Kerzen nicht ganz durchdringen konnten. Schüler schliefen zusammengerollt auf Decken, aneinandergelehnt, in Grüppchen; vereinzelt wachte jemand und starrte mit zu weiten Augen auf die massive Holztür. Khepri schlief nicht richtig - eher ein erschöpftes Versinken, halb Traum, halb Ohnmacht. Sie hatte irgendwann den Kopf an Marcus’ Schulter gelegt, ohne zu merken, wann genau. Er war nicht eingeschlafen; er saß da wie ein Wächter, den Blick auf die Tür gerichtet, die Muskeln gespannt. Dann, irgendwann gegen das, was wie ein sehr spätes Morgengrauen wirkte, sackte auch er etwas zur Seite - und sie rutschte näher, wie von selbst. Und so schliefen sie schließlich doch. Gegeneinander gelehnt, warm inmitten einer Welt, die gefroren war. Bis- Ein Geräusch die Welt zerriss. Kein Schrei, ein Klang.
Ein Ton, so hoch und so tief zugleich, dass er durch Stein schnitt wie ein heißes Messer durch Eis. Ein Laut, der gleichzeitig in den Ohren vibrierte und im Herzen kratzte. Ein Laut, den kein Mensch hätte machen können. Ein Sterbenslaut. Der letzte.
Khepris Augen flogen auf. Sie riss die Luft ein wie nach einem Sturz ins Wasser. Marcus zuckte zusammen, die Hand sofort an ihrem Arm - schützend, ohne nachzudenken. „Was ist los?“ Doch Khepri hörte nicht ihn. Sie hörte nichts. Zum ersten Mal seit Monaten. Stille. Nicht die Stille der Nacht. Nicht die Stille eines Schlafsaals. Eine Stille, die etwas bedeutete. Aaron saß bereits kerzengerade da, die Augen kugelrund. Sekani war bleich wie Pergament. „Habt ihr-?“ flüsterte Sekani. „Ja,“ hauchte Khepri. „Das war…“ Aaron brachte das Wort nicht heraus. Keiner von ihnen. Aber alle wussten es. Der Basilisk war tot. Das Flüstern war verstummt, für immer.

 

Sprout begegnete ihnen an der Tür - und obwohl ihr Gesicht hart war, konnte selbst Khepri die winzige Erleichterung darin erkennen. „Ihr habt es gehört?“ ging sie sofort sicher. Khepri nickte. „Ein letztes… etwas. Und dann war es vorbei.“ Aaron stand neben ihr, den Rücken gerade wie bei einem Appell. Sekani wirkte erschöpft, aber wach. Sprout atmete hörbar aus. Es klang, als hätte sie seit Stunden den Atem angehalten. „Dann… dann ist es wirklich vorbei.“ Sie strich sich mit einer Hand über die Stirn. Ihre Stimme nahm einen weicheren Ton an. „Ihr habt Unvorstellbares getragen. Und ihr habt-“ Sie stockte. „Ihr habt Hogwarts einen Dienst erwiesen, den man kaum in Worte fassen kann.“ Khepri senkte den Blick. „Wir hätten es früher sagen sollen.“ „Ihr seid Kinder,“ sagte Sprout sanft, aber bestimmt. „Und ich wünsche, dass das alle in diesem Schloss begreifen.“ Sie sah Khepri lange an – so lange, dass Khepris Herz kurz stotterte, weil Sprout die richtigen Fragen stellen könnte. Aber Sprout tat es nicht. Sie sagte einfach „Danke.“.
Marcus war nicht weg. Natürlich war er nicht weg.
Er stand auf, als er sie zurückkommen sah - nicht stürmisch, nicht neugierig, einfach… da. Er trat einen Schritt auf sie zu. „Und?“ Khepri zog langsam die Luft ein. „Es… ist vorbei.“ Seine Schultern sanken. Er nickte nur einmal, fest, als würde er das Gesagte in Stein meißeln. „Gut.“ Und dann - völlig ungelenk, aber echt - hob er einen Arm, zögerte, und legte ihn dann fest um ihre Schultern für einen einzigen, knappen Herzschlag. „Gut.“ mehr flüsternd als sprechend.
Dann - Chaos. Stimmen. Schritte.
Die großen Türen krachten auf. Hunderte Schüler richteten sich gleichzeitig auf, als wären sie ein einziger Organismus. Im Türrahmen: Harry Potter. Ron Weasley. Gilderoy Lockhart - verwirrt wie ein leerer Sessel. Und Ginny Weasley, schmutzig, blass, aber lebendig.
Khepri stolperte nach vorn. Percy stieß einen Laut aus - etwas zwischen einem Schluchzen und einem Schrei. Fred und George sprinteten. McGonagall stürzte durch den Gang, Snape dicht hinter ihr. Und Khepri- sie stand da, das Herz in der Kehle, und sah, wie Percy seine Schwester packte und an sich drückte, als würde er nie wieder loslassen. Ginny brach in Tränen aus, ganz klein, ganz weich und so erschüttert, dass ihre Knöchel zitterten. Ron hielt sie fest. Harry hielt Ron fest. Und Hogwarts- Hogwarts holte zum ersten Mal seit Monaten wieder Luft.

Khepri stand zwischen Marcus und Liliana. Liliana griff nach ihrer Hand. Marcus stand einfach still - aber so nah, dass seine Wärme sie noch immer erreichte. Khepri schloss die Augen. Die Stille in ihrem Kopf blieb. Und erstmals fühlte sich Stille nicht nach Gefahr an, sondern nach Frieden. Nach einem Kapitel, das sich schloss. 

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